Ich habe einen Comic gelesen! Das passiert nicht allzu häufig. Mancher mag jetzt sagen das ich ja mal zehn Jahre lang sehr viele Manga, also japanische Comics, gelesen hätte. Aber als ein richtiger Dating-Sim-spielender, Filme in OmU sehender, Lamento One Coin Figures besitzender Weeb behaupte natürlich ganz strickt, dass das ein himmelweiter Unterschied ist. Wäre ich jemand, der sich wirklich mit (westlichen) Comics auskennt, würde ich eh den Begriff Graphic Novels satt Comics benutzen, um mir vormachen zu können, dadurch mehr Prestige zu haben.
Aber was habe ich denn überhaupt gelesen? Passend zum Halloween-Monat wäre das Fangs von Sarah Andersen. Der Autorin von Sarah’s Scribbles, wie das Cover verrät. Diese kurze Comedy-Strips sind mir übrigens bekannt, denn ich folge ihr auf Twitter, wodurch sie mir regelmäßig in die Timeline gespült werden und ich kann das nur weiterempfehlen (@SarahCAndersen folgen).
Prestige, um sich über schnöde Comics erhaben zu fühlen, bringt übrigens auch Fangs mit. Denn es ist im Taschenbuchformat mit Hardcover und im roten Plüscheinband mit schwarzen Stanzdruck gehalten. Der schwarz-weiß gezeichnete Inhalt kommt auf dickem Hochglanzpapier statt der üblichen Wegwerfware. Dadurch wirken die 100 Seiten gleich auch dicker und der Preis von 15$ gerechtfertigter. Die Rückseite wird nicht unnötig von Werbetexten oder sonstigem Aufdruck, abgeshen eines kursiven „I want your love BLOOD“, gestört, minimalistisch-edel ist hier die Ansage. Verlag/Preis/ISBN kommen stattdessen auf einem abnehmbaren Pappreiter daher, auf dem aber auch zum Inhalt nur der eine Satz „A love story between a vampire and a werewolf“ zu vernehmen ist.
Da mag man ja fast einen kitschigen YA-Roman über einen hübschen, romantischen Stalker und sein durschnittliches sofort Hals-über-Kopf verliebtes Opfer erwarten, wenn man diese Zeile und den Einband so sieht. Dem ist natürlich nicht so, denn Andersen bleibt ihren Humor-Wurzeln treu.
Und ihrem gewohnten Format. Denn auch in Fangs gibt es wie bei den meisten Webcomics keine übergeordnette Handlung, sondern nur eine verbindende Thematik. Jede Seite, die maximal 4 Panels enthält, ist also ein relativ in sich abgeschlossenes Ereignis mit einer eigenen Punchline. Tatsächlich ist Fangs ursprünglich als Webcomic erschienen und um 25% erweiterten Inhalt nun ins plüschige Hardcover gepresst worden.
Besagtes verbindendes Thema ist natürlich die Beziehung zwischen Vampir Elsie und Werwolf Jimmy. Im Gegensatz zu so vielen anderen übernatürlichem Lore sind jene Monster nicht von Natur aus Totfeinde. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass ihre Beziehung nicht dennoch gewisse Hürden mit sich bringt. Knnoblauch essen ist out – sollte aber auch in einer nicht vampirischen Beziehung vermieden werden, wenn man Wert aufs Küssen legt. Ein weiterer Abturner ist, morgens die Vorhänge für die aufgehende Sonne zu öffen, um frisch in den Tag zu starten, wenn aus der Vampirfreundin kein Kohlebricket werden soll. Die wiederum muss sich ihre über Jahrhunderte angesammelten Vintage-Accessoires aus Silber abgewöhnen, wenn sie ihren Werwolffreund berühren will. Die Beziehung bringt allerdings auch Vorteile mit sich. Ist es im Sommer unerträglich heiß, kann sich Jimmy immer an den leichentot-kalten Körper von Elsie schmiegen. Während sie zu jedem Vollmond mit einem übergroßen Hund kuscheln darf.
Und so liest es sich geschwind durch die kurzen Comic-Strips, die eine überraschend wholesome Beziehung zwischen den beiden porträtiert. Mit ganz außergewöhnlichen aber doch alltäglichen Problemen, die hauptsächlich in Legenden um Vampire und Werwölfe fußen… oder auch einfach den Hundestatus von Jimmy beispielsweise aufs Korn nehmen, wenn er nicht wiederstehen kann selbst in menschlicher Form Eichhörnchen zu jagen. Mit viel Charm und Herz und vor allem ganz viel des üblichen geistreichen Humors und Situationskomik, die man von Andersen gewohnt ist. Was ein angenehmes quirliges kleines Lesevergnügen.