Call Me By Your Name kommt zu uns durch den italienischen Regisseur Luca Guadagnino, der unter anderem auch für das Suspiria-Remake verantwortlich ist, und dessen Film kurzfristig von Sony Pictures aufgegriffen und zunächst wie ein Arthouse-Film in Sundance und späterem Limited Release zu sehen war, bevor es die Großdistribution erlangte und bei den Oscars landete. Dort war er für vier Auszeichnungen nominiert, darunter auch zwei große in Best Picture und Best Actor, sowie stritt er sich mit Coco um Best Original Song, sollte letztendlich allerdings nur mit Best Adapted Screenplay nach Hause gehen.
Ich glaube, ich habe es bereits irgendwann erwähnt, wiederhole es jedoch gerne erneut: Als Teenager habe ich ziemlich viele Filme gesehen, die in der hiesigen Rubrik „Gay Cinema“ auftauchen könnten, mich aber auch ziemlich schnell an ihnen sattgesehen gehabt, weswegen besagter Tag nicht sonderlich viel Anwendung findet. Meist sind es genau die gleichen Coming of Age Dramen, die mit den gleichen Charakterstereotypen durch die gleichen Handlungs-Beats gehen, und ehrlich gesagt gern auch mal ein wenig langweilig. Nachdem mir schon das viel gelobte Brokeback Mountain nicht zusagte, musste Call Me By Your Name sich also ordentlich Bergaufwärts kämpfen.
Ich kann direkt mal sagen, dass Call Me By Your Name netterweise nicht durch die gleichen, abgenutzten Stufen einer solchen Geschichte geht. Der 17-jährige Elio verbringt mit seiner Familie die Sommer auf einem Landhaus in Frankreich, und während der Vater im Gebiet archäologischen Tätigkeiten nachgeht, langweilt sich der Teenager natürlich ein Stück weit, trotz Abhängen mit Gleichaltrigen. Immerhin findet all dies in 1983 statt, wo man noch nicht ständig vernetzt war. Jedes Jahr kommt, um mit dem Vater zu arbeiten, auch eine studentische Hilfskraft vorbei, in diesem Sommer ist das der attraktive Oliver. Der ist ziemlich von sich überzeugt, weswegen Elio ihn zunächst nicht leiden kann, und sich auch nicht sicher ist, ob Oliver ihn überhaupt mag. Doch da die beiden viel zusammen abhängen und Oliver einen guten Bezug zum intellektuellen und artistischen Teen findet, kommt es letztendlich doch zu mehr zwischen den beiden, und sie können einen unbeschwerten Sommer der Liebe verbringen.
Unbeschwert ist hierbei das Stichwort. Es kommt nicht zu den üblichen Beats, dass der Teenager extrem lange braucht, um sich seine Sexualität einzugestehen. Der ältere Part hadert nicht lange, sich auf jemand so junges einzulassen. Es gibt kein Elternteil, welches das schwule Kind verstoßen will. Keine Gleichaltrigen, die einen Gay Bash veranstalten. Keinen besten Freund, der sich zunächst distanziert. All die üblichen Probleme, die schwules Coming of Age Kino fast wie eine abzuhakende Liste normalerweise auffährt, gibt es in Call Me By Your Name nicht oder wird stark heruntergespielt. Stattdessen geht es um die Unbeschwerte Leichtigkeit des Seins, dem klassischen joie de vivre, ein unbeschwerter Sommer mit der ersten richtigen Liebe, die so mehr oder weniger jedem Pärchen widerfahren hätte können. So ziemlich jedem Charakter scheint es schnell klar, was zwischen Elio und Oliver geschieht, und obwohl es niemand direkt adressiert, ist auch jeder ziemlich Ok damit. Die gebildete multi-kulti Familie von ihm sowieso. Und auch die offenherzigen Französinnen. Selbst diejenigen, die Elio vorher mehr oder weniger wie eine (non-platonische) Freundin behandelte, mit der er sogar schläft, und die er anschließend nie wieder anruft oder trifft (was schon ein ziemlich arschiges Verhalten ist), scheint ziemlich schnell über ihn hinwegzukommen.
Hierfür ist es glaube ich auch durchaus sehr wichtig, dass der Film im Jahre 1983 angesiedelt ist. Nicht nur, weil wegen dem Wegfallen diverser Technik und Medien dadurch Elio sich viel einfacher auf Oliver einlassen kann, weil der Teen in den langen Sommerwochen sich viel langweilt und wenig andere Abwechslung in der Kleinstadt findet. Sondern weil man sich eben auch einfach auf diesen unbeschwerten Sommer einlassen kann, wenn man abseits seines normalen Wohnortes, seiner Social Group ist, weil man nicht ständig übers Internet und Smartphone in Verbindung bleiben kann. Auch Oliver kann sich einfach viel besser fallenlassen, alles geht sozusagen diesen einen Sommer lang, weil die gewohnten Verpflichtungen und Erwartungen für ein paar Wochen nicht mehr auf ihm lasten.
Das Ding ist nur, ein wesentlich spannenderer Film ist das natürlich auch nicht, zwei Kerlen bei ihrem unbeschwerten, privilegierten Leben für 2 satte Stunden zuzusehen. Gerade weil es so einfach keine Reibungspunkte gibt. Dies ist sicherlich beabsichtigt, um eine gewisse Atmosphäre und eben ein gewisses Lebensgefühl zu vermitteln, aber mir war es ein wenig zu lahm. Und auf die letzten 15 Minuten kommt dann eh Mysery Porn aus dem Nichts, was durchaus zu erwarten war, denn wenn es gut für die beiden ausgegangen wäre, wäre der Film kaum für Oscars nominiert gewesen. Dass Oliver mit Elio telefonisch (und das auch noch kurz vor den Feiertagen!) bricht, weil er sich verlobt hat und nun doch das von ihm erwartete Normie-Leben führen wird, war ja fast klar.
Was ich hier interessant fand, war allerdings die Ansprache von Elios Vater. Wenn er seinen Sohn zur Seite nimmt und erklärt, dass es wichtig war zu fühlen und sein Herz nicht zu verschließen. Dass auch verletzt zu werden zum Leben gehört. Und das er dies voll ausleben soll, solange er noch jung ist, denn zu schnell wird man alt und bereut, was man alles nicht getan hat, meint seine Jugend vergeudet zu haben, und was man für ein abgeklärter Zyniker geworden ist. Ich denke diese Rede an sich funktioniert halt auch bei vielen im Publikum, denn egal was man in der Jugend gemacht hat, ab einem gewissen Alter denkt man glaube ich automatisch zumindest hin und wieder, dass man sie hätte besser nutzen können. Wenn man sich seiner eigenen Sterblichkeit stärker bewusst ist und von mehr Verpflichtungen im Leben zurückgehalten wird, meint man die Narrenfreiheit und Stamina des jungen Körpers besser ausgenutzt haben zu wollen. Rappel dich wieder auf und lebe deine Jugend, denn sie ist irgendwann rum, führt das zunächst scheinbar unpassend dramatische Ende doch wieder zurück zum unbeschwerten Rest des Filmes.